Ein Sturm wird kommen

By Tina Regber

Quelle: https://de.freepik.com/fotos-kostenlos/schwarze-wolken-ueber-dem-feld_949092.htm#query=sturm&position=25&from_view=search

Er wachte eines Tages mit einem leichten Kribbeln auf, kaum spürbar, tief in seinem Inneren.

Und da wusste er es.

Die erste, der es sagte, war seine Nachbarin, eine ältere Dame mit einem freundlichen Gesicht. Sie wusste über jeden und alles Bescheid.
Er wünschte ihr einen guten Morgen und sagte: „Ein Sturm wird kommen.“

Sie lächelte gutmütig, doch er wusste sie würde zum Telefon greifen sobald sie wieder in der Wohnung war. Dann würde sie ihren Freundinnen ihr Leid klagen über den ‚verrückten, rotzfrechen Nachbarsbengel‘. Er lächelte zurück.

Denn er wusste es besser.

Am nächsten Tag hatte sich das Kribbeln in seinem Inneren in alle Richtungen ausgebreitet, war zu einem stetigen Luftzug geworden und er wusste, viel Zeit würde ihm nicht mehr bleiben. Er sendete E-Mails an Wetterforscher, tätigte Anrufe bei Behörden und schickte formale Briefe an die Regierung. Der Inhalt war immer derselbe: „Ein Sturm wird kommen.“

Als er einen Tag später aufwachte, spürte er eine Rastlosigkeit wie er sie noch nie zuvor gefühlt hatte. Seine Finger zuckten und er konnte keine Minute stillsitzen. In seinem Inneren brodelte es unentwegt. Er nahm seine Wohnungsschlüssel, Handy und Portemonnaie und verließ die Wohnung.

Unterwegs kam er an einem Zeitungsstand vorbei. Er blätterte zum Wetterbericht und konnte seine Enttäuschung kaum zurückhalten: Heißester Sommer seit 100 Jahren – vielleicht sogar mehr! Sonne, Sonne und nochmal Sonne…

Nun gut, musste er eben zu härteren Mitteln greifen.

Auf allen Social Media Seiten sendete er eine Nachricht heraus, die letzte Warnung, die sie bekommen würden: „Ein Sturm wird kommen.“

Die ganze Nacht bekam er fast kein Auge zu, doch er musste irgendwann kurz eingenickt sein, denn er wurde kurz nach Tagesanbruch vom Regen geweckt, der gegen seine Fenster klatschte. Große, schwere Tropfen.
Dazu wütete der Wind und wirbelte Blätter, lose Äste und kleine Gegenstände durch die Luft.

Immer stärker brauste es.

Er grinste und trat nur in Jogginghose und T-Shirt bekleidet nach draußen, erst aus der Wohnung, dann aus dem Haus bis auf den Bürgersteig. Alles um ihn herum toste und brauste, ja ein wahrlicher Sturm.
Und das erste Mal seit drei Tagen herrschte in seinem Innern absolute Windstille.

Er breitete seine goldenen Flügel aus und hob ab. Es war soweit, der Sturm war gekommen und niemand konnte sagen, er hätte sie nicht gewarnt.

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